Würste ohne Zucker herstellen. Ein casagusta Insider Bericht.

Wurst ohne versteckte Zucker herstellen? Kein Problem! Oder vielleicht doch? Ein Insider Bericht.
Vor gut 2 Jahren begannen wir mit der Produktentwicklung der casagusta Würste. Im Vorfeld formulierten wir folgende Anforderungen:
a) Erstklassiger Geschmack
b) Erstklassiges Fleisch von unseren Bentheimer Schweinen
c) Keine versteckten Zucker, kein Nitritpökelsalz, keine Konservierungsstoffe.
d) Allerbeste Gewürze, die noch “Lebensenergie” haben.
e) Totale Transparenz für Verbraucher. Alle Inhaltsstoffe werden auf der Internetseite veröffentlicht.

Jeder hat einen Plan – bis er einen Schlag ins Gesicht bekommt (Muhammed Ali)

In eine Wurst kommen eine Vielzahl von Gewürzen. Dafür greift man als Hersteller normalerweise auf fertig entwickelte Mischungen von Gewürzhändlern zurück. Was Sinn macht, weil a) in so einer Mischung oftmals viele aufeinander abgestimmte Gewürze enthalten sind und b) es im Arbeitsablauf einer Metzgerei viel zu fehleranfällig wäre z.B. 10 einzelne Gewürze auszuwiegen und rezeptgetreu in die Wurstmasse zu geben.
Also galt einer unserer ersten Anrufe einem der besten europäischen Gewürzhändler (Urwaldpfeffer, Wilder Kardamon, alte Paprikasorten auf Steinmühlen gemahlen usw.). Der Händler hatte auch Mischungen aus erstklassigen Gewürzen im Angebot. Allerdings mit zugesetztem Zucker. Anrufe bei weiteren Gewürzhändler brachten die gleichen Ergebnisse: Zucker wohin man schaute.

Hintergrund: Warum ist das so? Warum kommt Zucker in die Gewürzmischung?
Folgenden Gründe haben wir bei unseren Recherchen gehört.
1.) Der Zucker rundet den Geschmack der Gewürzmischung ab.
2.) Zucker ist ein Geschmacksverstärker.
3.) Gewürzmischungen mit Zucker kommen besser an. Zucker hat eine ähnliche Wirkung auf das Belohnungszentrum im Gehirn wie Drogen. Wurst mit Zucker wird als besser schmeckend wahrgenommen.
4.) Zucker ist weitaus billiger als Gewürze. Der kg-Preis für die Mischung mit zugesetztem Zucker geht runter. Je mehr Zucker – desto billiger kann der Händler sie anbieten.
5.) Zucker “verkleistert” den Eigengeschmack der Fleischmasse gut. Auch Wurstmassen aus minderwertigem Fleisch können so gerettet werden.
6.) Haben wir schon immer so gemacht. Geht nicht anders.

Zwischenstand: wenn wir Würste ohne Zucker haben wollten, brauchten wir eigene Gewürzmischungen. Unser Gewürzhändler erklärte sich dankenswerter Weise bereit, uns eine eigene Gewürzmischung zu produzieren, wenn wir ihm eine genaue Rezeptur liefern. Ein kleiner Etappensieg.

Gar nicht so einfach: der nächste Rückschlag
Eine Gewürzmischung enthält manchmal Produkte wie Gemüsebrühe-Granulat, geröstete Zwiebeln oder getrocknete Zitronenschale. Solche Spezialprodukte kauft auch ein Hersteller von Gewürzmischungen teilweise von anderen Lieferanten zu. Im Prinzip kein Problem. Aber: wenn wir diese indirekt von unserem Händler bezogenen Produkte einsetzen wollten, mussten wir sie ebenfalls genau unter die Lupe nehmen. Sind vielleicht Hefen oder Zucker in der Gemüsebrühe? Oder wurden die Zwiebeln mit Zucker karamellisiert? Wir fanden zu Beispiel heraus, dass die getrockneten Zitronenschalen mit Dextrose (also Zucker) gestreckt wurden. Ziemlich schnell wurde klar, dass alles hinterfragt werden musste. Es herrschte auch kaum ein Bewusstsein bei den Lieferanten, dass jemand ein Problem mit diesen Zusatzstoffen haben könnte.

Was in unserem Fall noch erschwerend hinzu kam:
Unsere eigenen Gewürzmischungen mussten vorab getestet werden, und dafür brauchten wir Fleisch. Weil wir auf unseren Weiden aber nur wenige Bentheimer Schweine halten, war das ein Problem. Erstens wollten und konnten wir von unserem wertvollen Bestand keine Tiere nur für Testläufe schlachten. Zweitens fanden wir es aus ethischen Gründen schwierig, eventuell haufenweise Wurst entsorgen zu müssen, falls die ersten Testproduktionen noch nicht gut genug waren.
Für Testläufe Fleisch von anderen Tieren zu kaufen kam ebenfalls nicht in Betracht, weil die Fleischqualität unserer Bentheimer Schweine ganz anders ist, als die von normalen Schweinen. Die Ergebnisse damit wären unbrauchbar.

Der Plan
Unsere einzige realistische Chance war, zwischendurch immer etwas Fleisch von Tieren abzuzweigen, die wir als Frischfleisch schon vermarkteten. Also Fleischstücke zu sammeln. Außerdem durften wir nicht zu viele Testläufe benötigen.
Dafür mussten wir die Gewürzmischungen für die verschiedenen Würste gut vorbereiten und so viele Fehlerquellen wie möglich im Vorfeld ausschließen.
Wir entschieden uns dazu, für jede einzelne Mischung zunächst eine “Grundmischung” festzulegen – mit Gewürzen, die “üblicherweise” verwendet werden. Wohl wissend, dass diese Grundmischung noch einige Optimierungen nötig haben würden.
Damit die Mischungen einen differenzierten geschmacklichen Charakter bekommen wollten wir die Anzahl der Gewürze in der Mischung möglichst klein halten.
Last but not least: bestimmte Gewürze, von denen eine angenommene gesundheitsfördernde Wirkung ausgeht (z.B. Ingwer, Nelken) sollten nach Möglichkeit enthalten sein.

Alles wird gut
Mehrere Umstände kamen uns glücklicherweise zur Hilfe.
Erstens haben wir einen herausragenden Metzger mit viel Erfahrung. In seinem modernen Handwerksbetrieb konnten wir auch mit geringen Mengen Testläufe fahren.
Zweitens halfen unsere guten persönlichen Kontakte zu Sterneköchen. Ohne deren Unterstützung wären wir vermutlich nie angekommen. Für Laien ist es immer wieder verwunderlich, wie sich diese Spitzenleute Geschmack buchstäblich “vorstellen” können: “Nimm noch 5g Grünen Pfeffer dazu und der Geschmack wird vermutlich soundso…”, “das Gewürz kannst du auch rausnehmen, bringt nicht viel” usw. Sie hatten so gut wie immer Recht.
Drittens konnten wir auf die Qualität unseres Fleisches vertrauen. Es nimmt die Geschmacksimpulse der Gewürze sehr gut an. Wir wollten den Eigengeschmack des Fleisches in der Wurst ja herausarbeiten und nicht übertünchen.

Unser Plan geht auf
Auf einmal lief es rund. Dank der guten Vorbereitung benötigten wir bei allen Würsten nur wenige Testläufe. Schon die ersten Gewürzmischungen brachten sehr passable Ergebnisse, so dass wir zügig voran kamen. Allerdings stellte sich heraus, dass unsere Mischungen sich wie Operndiven verhalten. Richtig behandelt und gut eingesetzt liefern sie herausragende Ergebnisse. Unachtsamkeit wird bestraft.

Fazit
Die Produktion unserer Würste ist komplex. Gewürze, Fleisch, Verarbeitung – alles ist präzise aufeinander abgestimmt. Gibt es irgendwo Abweichungen funktioniert es nicht.
Die Gewürzhändler haben Recht. Der Zucker verkleistert zwar einerseits den Geschmack der Gewürze hat aber auch eine “harmonisierende” Wirkung. So eine Mischung funktioniert irgendwie immer. Weil ein Gewürzhändler seine Mischungen an viele Handwerksbetriebe verkaufen muss, ist so ein “ganz OK” Ansatz für ihn wirtschaftlich sinnvoll. Wer allerdings mehr als eine 08/15 Wurst herstellen will, benötigt unserer Erfahrung nach Gewürzmischungen ohne Zucker. Abgesehen davon, dass solchen Gewürzmischungen Verbraucher nicht täuschen (welcher Verbraucher erwartet, dass Zucker in der Wurst ist?) sind sie bedeutend sensibler in der Verarbeitung und sollten maßgeschneidert sein auf das verwendete Fleisch. Bei uns funktioniert es nur, weil wir den gesamten Prozess von der Tieraufzucht bis zur Verarbeitung unter Kontrolle haben.